Johann Christian Günther – »ORTHODOXISSIMA SAECULI NOSTRI PARADOXA«

Person

Johann Christian Günther

Ort

Jena

Thema

Jede Woche ein Gedicht

Autor

Johann Christian Günther

Johann Christian Günther: Werke in einem Band, Weimar 1962.

 

Die Audio­fas­sung liest Chris­toph Schmitz-Scholemann.

 

Was ist das beste Buch? Des Hei­lands Lehr und Leben.
Was macht denn einen Christ? Der­Trieb, ihm nachzustreben.
Wer hat die Selig­keit? Wer Gott recht ehrt und liebt.
Wer ehrt und liebt ihn recht? Der, so sich eif­rig übt,
Ihn aus Ver­nunft und Licht und aus der Welt zu kennen.
Wer aber ist denn wohl ein wei­ser Mann zu nennen?
Wer nichts bewun­dern darf nicht alles eitel macht,
Auf kein Ver­häng­nis flucht und weder weint noch lacht
Wo liegt das höchste Gut? Im ruhi­gen Gewissen.
Wer ist auf uns­ren Fall am eif­rigs­ten beflissen?
Der Mensch. Wer heißt denn reich? Der, wel­cher nichts begehrt.
Wer arm? Der dürre Geiz, der von sich sel­ber zehrt.
Was kann wohl uns­rer Eh die reichste Mit­gift geben?
Ein Kind von Ehr­lich­keit und unschulds­vol­lem Leben.
Welch Mägd­gen ist denn keusch? Von der sogar der Neid
So still als öffent­lich sich was zu lügen scheut.
Was heißt nun wohl gelehrt? Das, was man sagt, beweisen.
Wie wird ein Mensch ein Mensch? Durch Ein­sicht und durch Reisen.
Wo mögen Her­den sein, in die kein Miet­ling lauft?
Viel­leicht in Schle­sien, da wer­den sie gekauft.
Was macht der Ortho­dox? Zank, Ket­zer, Atheisten.
Wer mehrt der Heuch­ler Schwarm? Die dum­men Pietisten.
Was ist in uns­rer Zeit das größte Wunderwerk?
Zween Örter: erst­lich Wien, her­nach auch Wittenberg;
Dort herrscht nun­mehr Tra­jan zum andern Mal auf Erden.
Hier will der Papst nun gar zum Luthe­ra­ner werden.
Setzt noch das dritte zu! Was? Jena. Wie? Warum?
Hier ist die güldne Zeit ein eisern Säkulum:
Was ist die ganze Lust der meis­ten Purschentage?
Ein Wirts­haus brei­ter Bahn, ein Buch voll Schuld und Klage.
Was mag ihr Wahl­spruch sein? Als flö­gen wir davon.
Was bringt sie end­lich ein? Viel Nach­reu, wenig Lohn.
Wo aber ist nun auch ein wah­rer Freund zu finden?
Ja, Bru­der, lehre mich die Ant­wort selbst ergründen;
Ich habe mich darum viel Jahr umsonst bemüht,
Ver­such, ob dir darin das Glück einst frü­her blüht.

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