»die Vögel singen im Gezweig« – Ein Nachruf auf Thomas Rosenlöcher von Jens Kirsten

Person

Jens Kirsten

Thema

Nachrufe & Gedenken

Autor

Jens Kirsten

Alle Rechte beim Autor. Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Autors.

Zum ers­ten Mal wurde ich auf Tho­mas Rosen­lö­cher in einer Aus­gabe der kurz­le­bi­gen Zeit­schrift »Son­deur« im Juni 1990 auf­merk­sam. Da schrieb einer, dem ein ganz unver­wech­sel­ba­rer Sound eigen war über die Dresd­ner Tage im Februar 1990. Mit Gespür für die Stimme des Vol­kes nahm Rosen­lö­cher die ers­ten Anklänge der dann fol­gen­den gro­ßen Ent­täu­schung über den ins ost­deut­sche Leben ein­zie­hen­den Wes­ten auf. Den kri­ti­schen Beob­ach­ter des All­tags wuß­ten die Trin­ker an »Kar­lis Bier­bude« in jenen Tagen des Umbruchs  als »Brille« von sich abzu­gren­zen. Unbe­wusst hat­ten sie gespürt: Die Spra­che der Poe­sie formt eine ganz eigene Welt. Dich­ter und Leser von Gedich­ten gehö­ren seit je zu einer beson­de­ren Spezies.

Rosen­lö­chers Spra­che nahm mich gefan­gen und ich las nicht nur »Die ver­kauf­ten Pflas­ter­steine« und ein Jahr spä­ter »Die Wie­der­ent­de­ckung des Gehens beim Wan­dern«, son­dern vor allem seine Gedicht­bände, von denen ich »Ich lag im Gar­ten bei Klein­zschach­witz« (1982), »Die Dresd­ner Kunst­aus­übung« (1996) und »Hirn­ge­fun­kel« (2012) her­aus­he­ben und zur Lek­türe emp­feh­len möchte. Rosen­lö­chers poe­ti­sche Spra­che – er kam wie Kers­tin Hen­sel und Róža Domaš­cyna aus der Schule Peter Gos­ses –, seine Lako­nie und sein Wort­witz bescher­ten mir so prä­gende Lese­ein­drü­cke, dass mir seine Gedichte bis heute zu lyri­schen Beglei­tern wurden.

Als ich ihn Anfang der 2000er Jahre anläss­lich einer Lesung vor Sti­pen­dia­ten der Kon­rad-Ade­nauer-Stif­tung traf, war der Dich­ter regel­recht erschüt­tert, als diese alle Bücher kauf­ten, die er zur Lesung mit­ge­bracht hatte.

Im März 2016 hielt Tho­mas Rosen­lö­cher eine »Wei­ma­rer Rede« und ich hatte – wie­der ein­mal – das Ver­gnü­gen, den Dich­ter und lite­ra­ri­schen Fla­neur auf einem Spa­zier­gang durch Zeit und lyri­schen Raum beglei­ten zu dür­fen. Im Gespräch mit Liane von Bil­ler­beck kon­sta­tierte er: »In der Wahr­neh­mung vie­ler gehört die Lyrik heute nicht mehr zur Lite­ra­tur.« Und er fragte, ob wir keine Zeit mehr für Gedichte haben, ob sie gleich­sam aus der Zeit gefal­len seien.

Gute Gedichte, sagte Rosen­lö­cher, müss­ten so geschrie­ben sein, dass man ihnen anmerkt, aus wel­cher Zeit sie kämen. Nur so könn­ten sie über die Zei­ten hin­weg bestehen. Tho­mas Rosen­lö­cher starb nach schwe­rer Krank­heit am 13. April in Krei­scha. Was uns bleibt, ist sein dich­te­ri­sches Werk. Rosen­lö­cher zu lesen, ist mir ein Trost in die­sen Tagen. Ich schlage einen sei­ner Bände auf und vor mei­nem offe­nen Fens­ter sin­gen die Vögel im Gezweig.

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