Ingrid Annel – »Jonna im Labyrinth der Zeit«

Personen

Ingrid Annel

Anke Engelmann

Ort

Erfurt

Thema

Gelesen & Wiedergelesen

Autor

Anke Engelmann

Alle Rechte bei der Autorin. Abdruck mit freundlicher Genehmigung der Autorin. Erstdruck in: Palmbaum 1/2022.

Anke Engel­mann

Ein Teen­ager in Erfurt 1512

 

Was macht ein Teen­ager, der zufäl­lig im 16. Jahr­hun­dert gelan­det ist? Genau: Erst­mal das Handy zücken. In ihrem neuen Buch »Jonna im Laby­rinth der Zeit« hat die Erfur­ter Autorin Ingrid Annel einen reiz­vol­len Kon­flikt­rah­men gefun­den. Sie ver­setzt die vier­zehn­jäh­rige Jonna 500 Jahre zurück in die Vergangenheit.

Am Anfang steht eine Ent­frem­dung. Jonna ent­deckt, dass Ben, der Part­ner ihrer Mut­ter, nicht ihr bio­lo­gi­scher Vater ist. Sie macht sich auf die Suche und fin­det sich unver­se­hens im Erfurt des Jah­res 1512 – dem Jahr, in dem der his­to­ri­sche Faust in der Stadt gewe­sen sein soll. Faust wie­derum gleicht auf Bil­dern aufs Haar jenem Mann, mit dem ihre Mut­ter einst eine Nacht ver­bracht haben will.

Renais­sance, Huma­nis­mus, Refor­ma­tion – und mit­ten­drin ein Teen­ager aus der heu­ti­gen Zeit. Aus­ge­rech­net das kon­flikt­rei­che Jahr zwi­schen Kind­heit und Erwach­sen­sein muss die Vier­zehn­zehn­jäh­rige durch­ste­hen, ohne Wasch­ma­schine, Hygie­ne­ar­ti­kel und Fern­hei­zung, ohne Mama, Ben und ihre Freun­din­nen, ohne Inter­net und Whats­App. Schnei­der­meis­ter Franke nimmt Jonna auf und die zeigt sich in ihrem unfrei­wil­li­gen au pair erstaun­lich anpas­sungs­fä­hig. Aus­ge­stat­tet mit dem Selbst­be­wusst­sein eines moder­nen Mäd­chens fin­det Jonna immer wie­der Mit­tel und Wege, dem herr­schen­den Rol­len­bild zu ent­kom­men. Und dann ist da noch Jakob, der Sohn des Meis­ters, dem die Haare so inter­es­sant über die Augen fallen.

Die Hand­lung, mär­chen­haft, aber stets plau­si­bel, fes­selt, ohne grau­sam oder gru­se­lig zu wer­den. Neben der gro­ßen Frage: Wie kommt Jonna wie­der in die Gegen­wart?, hal­ten Neben­kon­flikte die Span­nung auf­recht und Jonna auf Trab. Wohl­tu­end, dass weder Beleh­run­gen noch Geschichts­stun­den den Lese­fluss stö­ren. Wohl­tu­end auch, dass die Autorin auf eine pseudo-alter­tüm­li­che Spra­che ver­zich­tet. Gleich­wohl spürt man die genaue Recher­che über All­tag und Kul­tur in der Renais­sance. Ingrid Annel zeigt Faust als For­schen­den, der Magie und Hyp­nose benutzt, um sei­nen Lebens­un­ter­halt zu bestrei­ten, immer auf der Suche, immer den Schei­ter­hau­fen vor Augen. Faust, Huma­nist der Renais­sance: Davon kün­det das Licht, das Jonna braucht, um in die Ver­gan­gen­heit und wie­der zurückzugelangen.

Es reizt, die his­to­ri­sche Alt­stadt von Erfurt mit dem Buch in der Hand neu zu ent­de­cken. Wo könnte das Haus mit den Löwen gestan­den haben, in dem Jon­nas Mut­ter einst Johann Faust getrof­fen hat? Wo die Apo­theke Flö­rin­ger, die Jon­nas Urur­ur­ur­groß­va­ter vor mehr als 500 Jah­ren gegrün­det hat? Und viel­leicht ent­deckt man bei der Spu­ren­su­che eine kleine Tür im Dom­berg, die in eine fremde ferne Zeit führt?

In ers­ter Linie spricht die Geschichte zwölf- bis vier­zehn­jäh­rige Mäd­chen an. Doch das Gedan­ken­spiel der Autorin macht auch Erwach­se­nen Spaß.

 

  • Ingrid Annel: Jonna im Laby­rinth der Zeit, Ber­tuch Ver­lag, Wei­mar 2021, 388 Sei­ten, 20 €.
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