Heidemarie Förster-Stahl – »Theater in Rudolstadt«

Person

Ulrich Kaufmann

Ort

Rudolstadt

Thema

Gelesen & Wiedergelesen

Autor

Ulrich Kaufmann

Alle Rechte beim Autor. Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Autors. Erstdruck in: Palmbaum 1/2022.

Ulrich  Kauf­mann

Neun Kapi­tel Rudol­städ­ter Theatergeschichte

 

Als Harald Ger­lach 1992 den Schil­ler-Ehren­preis erhielt, sagte er. »Immer­hin: zu Schil­lers Zeit wird in Rudol­stadt ein Thea­ter errich­tet. Wer es in unse­ren Tagen noch ein­mal in spiel­fä­hi­gem Zustand bese­hen möchte, der sollte sich beeilen!«

Der vor­lie­gende Band zeigt zwei­er­lei. Die Anfänge des Rudol­städ­ter Thea­ters lagen bereits in vor­klas­si­scher Zeit und das Thea­ter in der Saa­le­stadt ist »spiel­fä­hig«, lebt, man spricht von ihm – nicht zuletzt von der pro­duk­ti­ven Ära des Stef­fen Men­sching. Insze­nie­run­gen wie etwa die von Alex­an­der Still­mark und des jüngst ver­stor­be­nen Büh­nen­bild­ners Vol­ker Pfül­lers wur­den auch außer­halb Thü­rin­gens wahrgenommen.

»Thea­ter in Rudol­stadt«: Den Titel des Buches«, kann man dop­pelt lesen. Zum einen legt die Ver­fas­se­rin eine seriöse, fak­ten­ge­stützte Thea­ter­chro­nik vor. Zum ande­ren ist von einer jahr­hun­der­te­lan­gen Zeit mit Unruhe, Hek­tik, Chaos, Intri­gen und lee­ren Kas­sen die Rede – von so einem Thea­ter eben.

Hei­de­ma­rie Förs­ter-Stahl schrieb bereits 1994 eine kleine Thea­ter­ge­schichte über die Lieb­ha­ber­bühne in Koch­berg, wo sie noch immer wohnt. (Vgl. Palm­baum 2 /1995).  Ihr neues Buch erschien als zwei­ter Band der lie­be­voll gestal­te­ten und reich bebil­der­ten »Rudol­städ­ter Schrif­ten«. Mat­thias Bis­ku­pek, Ver­fas­ser des ers­ten Ban­des in die­ser Reihe, hat mit letz­ter Kraft auch den vor­lie­gen­den Band noch beglei­tet und unter­stützt. Wäh­rend er als Sati­ri­ker und glän­zen­der Unter­hal­ter sein »Lite­ra­ri­sches Rudol­stadt« vor­ge­stellt hatte, bevor­zugt Förs­ter-Stahl als Dra­ma­tur­gin, Thea­ter- und Musik­wis­sen­schaft­le­rin einen eher sach­li­chen Stil. (Hin­ter­sin­nige Neben­be­mer­kun­gen schließt dies kei­nes­falls aus.)

Dem ein­gangs zitier­ten Schrift­stel­ler Ger­lach, der vor 1989 ein Inter­mezzo als Dra­ma­turg in der Saale-Stadt hatte, ist inso­fern zuzu­stim­men, als die ent­schei­dende Phase des Rudol­städ­ter Thea­ters in die Zeit Schil­lers und Goe­thes fällt. Im gewich­ti­gen drit­ten Kapi­tel erfährt der Leser, dass dies für Schil­ler als Dra­ma­ti­ker und Goe­the als Thea­ter­lei­ter im benach­bar­ten Wei­mar zutrifft. Im Vor­feld waren Schwarz­bur­ger Adlige durch Europa gereist, um das dor­tige Thea­ter­le­ben zu genie­ßen, es vor allem aber zu stu­die­ren. 1792 ent­stand das erste Rudol­städ­ter Thea­ter­haus, das im Buch abge­bil­det ist. Neben etli­chen Unter­hal­tungs­stü­cken von Kot­ze­bue und Iff­land waren dort auch Schil­lers »Räu­ber«, »Die Jung­frau von Orleans« und die »Wallenstein«-Trilogie zu erle­ben. Noch heute gilt Rudol­stadt als Schil­ler-Ort. Die große Schau­spie­le­rin und pri­vi­le­gierte Sän­ge­rin Caro­line Jage­mann, Carl Augusts Zweit­frau, machte sich – wie bei Förs­ter-Stahl zu erfah­ren ist – in Rudol­stadt rar. Nur an ins­ge­samt zwei Aben­den stand die Weit­ge­reiste auf der dor­ti­gen Bühne.

In einem drei­sei­ti­gem »Exkurs« (wie die Ver­fas­se­rin ihre grau unter­leg­ten Ein­schübe nennt), wird anschau­lich Carl von Lyncker, der »Bote aus Wei­mar«, vor­ge­stellt. Er war zunächst Mili­tär, dann Staats­be­am­ter, auch Land­rat. Seine guten Kon­takte zu Goe­the und Carl August nut­zend, wollte er ein »Klein-Wei­mar« an der Saale schaf­fen. Auch Lai­en­auf­füh­run­gen von Unter­hal­tungs­stü­cken, in denen er selbst­re­dend die Haupt­rol­len über­nahm, hat Lyncker beför­dert. Immer wie­der sprach er mit Goe­the die Wei­ma­rer Gast­spiele ab. Als das Bad Lauch­städ­ter Thea­ter finan­zi­ell inter­es­san­ter wurde, ver­lor das Rudol­städ­ter Thea­ter in klas­si­scher Zeit an Glanz.

Zu fast allen Zei­ten war die Rudol­städ­ter Bühne nicht aut­ark. Knappe Kas­sen und die geringe Größe der Stadt führ­ten zu Fusio­nen. Ohne regel­mä­ßige Gast­spiele war hier Thea­ter­le­ben nicht mög­lich. Aus­gie­big wird – nach span­nen­den Kapi­teln über das Thea­ter­le­ben in der Nazi­zeit und in den ers­ten Nach­kriegs­jah­ren – über die vier­zig Jahre DDR und die Nach­wen­de­zeit berich­tet. Wer erin­nert sich noch daran, dass es nach dem Umbruch in Rudol­stadt eine Epi­sode mit Opern von Sieg­fried Wag­ner gab? Ein zwei­tes Bay­reuth ent­stand in Thü­rin­gen nicht…

Förs­ter-Stahl, die über Jahre auch am Rudol­städ­ter Thea­ter tätig war, kennt die­ses Büh­nen­haus bes­tens.  Zeit­ge­schicht­li­ches betrach­tet sie nicht nur von »oben« (aus der Sicht des jewei­li­gen Inten­dan­ten oder der Regis­seure), son­dern sie sieht auch die sonst namen­lose Kos­tüm­nä­he­rin, die Frau in der Kantine…

Der Rezen­sent hat nicht ver­ges­sen, dass es 2013 die Rudol­städ­ter wag­ten, die Dra­ma­ti­sie­rung von Vol­ker Brauns Erzäh­lung »Die hel­len Hau­fen« erst­mals auf die Bret­ter zu brin­gen. Immer­hin wur­den die  schlim­men Schick­sale der mit­tel­deut­schen Kali­kum­pel the­ma­ti­siert. Stef­fen Men­sching, der Regis­seur, hatte für den aus Ber­lin zur Pre­miere ange­reis­ten Autor für den Fall, dass ihn das künst­le­ri­sche Ergeb­nis des Abends nicht über­zeu­gen sollte, einen »Flach­mann« mit »Stol­len­was­ser« spen­diert. Lachend und dan­kend konnte Braun am Ende das unbe­nutzte Fläsch­lein vorzeigen …

  •  Hei­de­ma­rie Förs­ter-Stahl, Thea­ter in Rudol­stadt. Rudol­städ­ter Schrif­ten 2, Rudol­stadt 2021, 194 Seiten.
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