Emma Braslavsky – »Das ESKAMOT-Möbelsystem«

Person

Emma Braslavsky

Thema

Wasser – Wald – Asphalt

Autor

Emma Braslakvsky

Alle Rechte bei der Autorin. Der Abdruck erfolgt mit freundlicher Genehmigung der Autorin.

Archäo­lo­gin, meine Güte! Ein hoch­tra­ben­des Wort. Aber im Prin­zip rich­tig, eigent­lich, also von Hause aus, bin ich Archäo­lo­gin. Nur ist Archäo­lo­gie heute etwas kom­plett Ande­res. Wir leben nicht mehr in Zei­ten, in denen wir eine zer­brech­li­che Ver­gan­gen­heit mit größ­ter Vor­sicht, behand­schuht und mit beru­hig­ter Hand, mit Pin­sel­chen und Spa­tel­mes­ser­chen frei­le­gen und die feh­len­den Puz­zle­teile dann in jah­re­lan­ger Denk­ar­beit erschlie­ßen und erra­ten müs­sen. Heute weiß kein Mensch mehr, was ein Spe­ku­la­ti­ons­raum ist, dafür ist kein Platz mehr. Heute unter­drü­cken uns Fak­ten. Des­halb arbei­ten wir Archäo­lo­gen heute zwei­glei­sig, heute heißt es: Eska­mo­teur oder Tau­cher. Wir sor­gen ein­mal dafür, dass uns die Gebirge Jahr­tau­sende halt­ba­rer Relikte aus der Ver­gan­gen­heit nicht mit dem nächs­ten Orkan um die Ohren flie­gen und erschla­gen, vor allem dass wir dar­un­ter nicht begra­ben wer­den. Natür­lich kata­lo­gi­sie­ren wir jedes Rudi­ment, bevor wir es eska­mo­tie­ren, also ver­schwin­den las­sen kön­nen, bevor es zusam­men­schrump­fen kann zu purer Infor­ma­tion. Zum ande­ren sind wir dar­auf spe­zia­li­siert, in die Tau­sende Meter hohen Müll­mas­sive ein­zu­drin­gen und darin spe­zi­elle Roh­stoffe auf­zu­spü­ren und herauszufischen.

Unsere Ver­gan­gen­heit ist auf­dring­lich, sie erschlägt unsere Gegen­wart regel­recht, nicht nur mit ihren unver­rück­ba­ren Tat­sa­chen ist sie eine Bes­ser­wis­se­rin, und wir sit­zen dort fest. Und oben­drein fürch­ten Men­schen täg­lich, dass sie ihnen auf den Kopf fal­len könnte. Aber damit müs­sen wir heute leben ler­nen. Wir müs­sen uns eine neue Gegen­wart erschaf­fen. Diese Ver­gan­gen­heit kön­nen wir eben nicht ein­fach hin­ter uns las­sen. Wir kön­nen nur ver­su­chen, eine bes­sere Ver­gan­gen­heit zu wer­den, die weiß, wann sie zu ver­schwin­den hat. Das hat mei­nen Part­ner und mich inspi­riert, diese Möbel­firma zu grün­den. Er ist ja als Eska­mo­teur spe­zia­li­siert. Und ich als Tau­che­rin. Und durch unsere neu-archäo­lo­gi­sche Spe­zia­li­sie­run­gen und gemein­sam mit unse­rem wis­sen­schaft­li­chen Team sind wir in der Lage, neue Kreis­läufe zu erschaf­fen und Ver­gan­gen­heit wie­der neu den­ken. Wir müs­sen einer neuen Gegen­wart Platz machen, aber dafür braucht es ein neues Bewusst­sein für Gegen­wart und für Zukunft. Und da set­zen wir mit unse­rer neu­ar­ti­gen Wohn­welt im intims­ten Raum an – in der Wohnung.

Es piept drei Mal von der Wand neben uns. Das Bild dort dema­te­ria­li­siert sich mit einem selt­sa­men Schmat­zen. Übrig bleibt ein quir­li­ger Schaum, der sich mit einem Knis­tern lang­sam auf­löst. Übrig bleibt ein win­zi­ges Insekt, das über die Wand zum Fens­ter huscht und durch eine Ritze hin­durch verschwindet.

Ja, seht ihr, mein Part­ner und ich leben hier bereits mit der gesam­ten Palette an Pro­to­ty­pen, die wir bis jetzt ent­wi­ckelt haben. Ver­gesst IKEA! Unser ESKA­MOT-Möbel­sys­tem schafft das neue Bewusst­sein, das wir für eine Zukunft auf die­sem Pla­ne­ten brauchen.

Was ich unter die­sem neuen Bewusst­sein ver­stehe, mei­nen Sie, oder unter dem Möbel­sys­tem?.. Erst mal Bewusst­sein, genau. Unsere Phi­lo­so­phie, natür­lich. Na, die beginnt da, wo wir zuge­ben müs­sen, dass wir einer Illu­sion erlie­gen. Unsere Sinne, die an Organ­sys­teme gebun­den sind, sind träge, des­halb erle­ben wir über­haupt Zeit und Raum. Und unser Geist, der von den Ein­drü­cken unse­rer Sinne abhän­gig ist, scheint lei­der auch träge zu sein, denn er inter­pre­tiert unsere Bio­sphäre falsch. Er gau­kelt uns vor, dass wir in einer sta­bi­len, rela­tiv unver­än­der­li­chen Umge­bung leben, an die wir uns bin­den und gewöh­nen. Obwohl wir begrif­fen haben, dass es Jah­res­zei­ten und Tod, dass es Lebens­zy­klen gibt, weil wir diese Ver­än­de­run­gen wahr­neh­men kön­nen, sehen wir vom Rest der unge­heu­ren Dyna­mik so gut wie nichts. Andere Lebe­we­sen erle­ben die Umwelt übri­gens auch nicht viel anders, nur stel­len sie keine Gegen­stände her. Wir unter­wer­fen unsere Volks­wirt­schaf­ten, ja unsere Wert­schöp­fungs­ket­ten einer Dyna­mik, aber unsere Pro­dukt­wel­ten nicht. Und hier setzt unser ESKA­MOT-Möbel­sys­tem an, sie sind die ers­ten dyna­mi­schen Ein­rich­tungs­ge­gen­stände, die nicht auf dem Sperr­müll lan­den werden.

Ein Pie­pen ertönt aus dem Handy. Ein Bari­ton sagt: Hallo, ESKA­MOT-Freun­din. Dein Küchen­tisch ist dir und dei­nen Lieb­lings­spei­sen seit 21 Mona­ten ein treuer Die­ner. Aber in drei Mona­ten wird er sich dema­te­ria­li­sie­ren. Also denk daran, dir recht­zei­tig einen neuen Küchen­tisch zu kau­fen. Schau doch ein­fach auf ESKAMOT.de nach dei­nem neuen Lieb­lings­kü­chen­tisch. Wir aktua­li­sie­ren für dich stän­dig unsere Pro­dukt­pa­lette. Diese Mel­dung wird in einem Monat wiederholt.

Klar ist das doof, wenn jemand müde vom Arbeits­tag nach Hause kommt und sich Sofa oder Bett in Luft auf­ge­löst hat, weil die Nach­be­stel­lung ver­ges­sen wurde oder die Warn­hin­weise über­hört wur­den oder weil die Geld­mit­tel dafür gerade feh­len. Aber was spricht dage­gen, es sich einige Nächte auf dem Tep­pich oder dem Stuhl gemüt­lich zu machen. ESKAMOT hilft auch dabei, sich nicht gefühls­mä­ßig an Dinge zu bin­den. Auch in sei­nem Pri­vat­be­reich fle­xi­bel zu blei­ben. ESKAMOT hilft, den Augen­blick mit dem Möbel­stück zu genie­ßen, es wahr­zu­neh­men, solange es da ist und es dann auch zie­hen zu las­sen, wenn es gehen muss, und sich zu freuen, mit etwas Neuem zu leben. Es hilft ein neues Bewusst­sein für eine dyna­mi­sche Gegen­wart zu schaf­fen. Ja, es ist auch so etwas wie ein Achtsamkeits-System.

Nein, also, Toi­let­ten­be­cken und Wasch­be­cken sind für uns tabu. Da sind wir uns bei ESKAMOT einig: Ein Toi­let­ten­be­cken, das sich unvor­sich­ti­ger­weise dema­te­ria­li­sie­ren kann, ohne dass an eine Neu­be­schaf­fung und pro­fes­sio­nelle Instal­la­tion gedacht wor­den ist, kann zu unvor­her­ge­se­he­nen Hygie­ne­pro­ble­men füh­ren. Dafür kön­nen wir keine Haf­tung übernehmen.

ESKAMOT funk­tio­niert ganz ein­fach. Du bestellst, was dir gefällt, und wir kom­men und bauen die Teile genau dort auf, wo du sie haben willst. Alle unsere Pro­dukte bestehen aus einem nach­hal­ti­gen, also aus alten Mate­ria­lien recy­cel­ten, sta­bi­len und ganz und gar neu­or­ga­ni­schen Ver­bund­stoff, der keine gif­ti­gen Kle­ber, Schäume oder Füll­mas­sen ent­hält. Die Mikro­or­ga­nis­men zur Dema­te­ria­li­sie­rung wer­den beim Auf­bau bereits mit­in­stal­liert. … Nein, ein Unge­zie­fer­pro­blem sehen wir dabei nicht. Sie wer­den im ein­ge­fro­re­nen Zustand am Pro­dukt ange­bracht. Eine Zeit­steue­rung akti­viert dann das Defree­zing und die Mel­dun­gen. … Nein, ent­fer­nen kannst du die Mikro­or­ga­nis­men nicht, die kannst du mit blo­ßem Auge nicht erken­nen. Die genaue Zusam­men­set­zung des Ver­bund­stoffs darf ich hier nicht ver­ra­ten, auch wenn wir uns das Mate­rial haben paten­tie­ren las­sen, gehö­ren diese Infor­ma­tio­nen zum Betriebs­ge­heim­nis. Aber mei­ner Spür­nase und archäo­lo­gi­schen Kennt­nis der Müll­ge­birge ist es zu ver­dan­ken, dass wir auf meh­rere Quel­len gesto­ßen sind, die uns über das nächste Jahr­zehnt hin­aus mit den not­wen­di­gen Res­sour­cen ver­sor­gen. Nur wir von ESKAMOT schaf­fen den Spa­gat zwi­schen Ren­ta­bi­li­tät und Nach­hal­tig­keit. Was heißt denn nach­hal­tig oder ren­ta­bel? Ent­we­der ein Tisch fürs Leben, und das ist unwirt­schaft­lich, sorry, und lang­wei­lig. Oder alle zwei Jahre einen neuen Tisch kau­fen, womit wir mit den her­kömm­li­chen Möbeln ein Sperr­müll-Pro­blem haben. Denn so sind wir zu die­sen neuen mit­tel­eu­ro­päi­schen Gebirgs­mas­si­ven gekom­men, seit wir aus kli­ma­po­li­ti­schen Erwä­gun­gen die Müll­ver­bren­nung dras­tisch redu­zie­ren muss­ten und auf jede Res­source ange­wie­sen waren.

Kau­fen ist ein Rausch, quasi ein Men­schen­recht, eine wahre Freude! Jeder Mensch muss kau­fen dür­fen, wenn er den Drang dazu ver­spürt. Und er darf dabei nicht gegän­gelt wer­den. Nie­mand hat das Recht, einem Men­schen den Kauf­rausch mit schlech­tem Gewis­sen zu ver­sauen! Wir von ESKAMOT haben das ver­stan­den. Bei uns ist Kauf­rausch erlaubt und nachhaltig.

… Nein, ich glaube nicht, dass der ESKA­MOT-Kunde sich für sein Geld weni­ger Wert erkauft als ein Kunde von IKEA oder HÜBNER oder sogar WHO’S PERFECT. Wel­chen Wert erkaufst du dir denn am Ende, wenn du Geld für ein Möbel­stück aus­gibst? Du bekommst zwei Dinge: die phy­si­ka­li­sche Leis­tung des Gegen­stands und die Freude daran, das heißt, die Zeit, wäh­rend der du diese phy­si­ka­li­sche Leis­tung bewusst genie­ßen kannst. Und hier sind wir, auch wenn das para­dox klin­gen mag, klar im Vor­teil. Bei einem her­kömm­li­chen, also zeit­lich unbe­fris­te­ten Möbel­stück tritt sehr bald die Phase der Gewöh­nung ein, der Gegen­stand ver­schwin­det unter der Grenze dei­ner Auf­merk­sam­keit, weil seine stän­dige Anwe­sen­heit garan­tiert ist. Und das ist ein rascher Wert­ver­lust. Es ist wie mit Lebens­ge­fähr­ten. Wenn du deine Part­ner­schaft befris­tet schließt, natür­lich even­tu­ell mit Option auf Ver­län­ge­rung, dann erlebst du diese Bezie­hung bewuss­ter, sie ist wert­vol­ler. Also, bei ESKAMOT ent­steht kein Gewöh­nungs­ef­fekt und das bedeu­tet, einen höhe­ren Wert haben und wahrnehmen.

Nein, Betrugs­vor­würfe sind halt­los. Wir garan­tie­ren die gesetz­lich vor­ge­schrie­be­nen 24 Monate, so lange muss das Möbel­stück anwe­send sein, damit ich nach Rechts­spre­chung kei­nen Betrug begehe.

… O Leute, ich mag das Wort Unge­zie­fer nicht! Diese Mikro­or­ga­nis­men, die zu klei­nen Käfer­ar­ti­gen her­an­wach­sen, sind nichts ande­res als put­zige Haus­tiere, die du nicht ein­mal füt­tern musst. Sie bei­ßen nicht, sie geben kei­nen Ton von sich, außer­dem lie­gen sie im kal­ten Tief­schlaf. Da soll­tet ihr euch eher über die Frucht­flie­gen oder Mot­ten auf­re­gen. … Im Moment wis­sen wir noch nicht, wohin diese Käfer im Anschluss an die Dema­te­ria­li­sie­rung ren­nen. Wir ver­su­chen gerade, sie syn­the­tisch her­zu­stel­len, damit sie im Anschluss ins nächst­ge­le­gene ESKA­MOT-Werk zurück­keh­ren. Im Augen­blick lau­fen sie ein­fach irgend­wo­hin. Keine Ahnung, in die Natur. … Zum Nach­barn? Na hof­fent­lich nicht. Also, die tun euch nichts, aber sie sind halt gefräßig.

Wer die Haf­tung über­nimmt, wenn Küchen­schrank oder Wohn­zim­mer­vi­trine sich dema­te­ria­li­siert haben und das teure Geschirr und die teu­ren Glä­ser zu Bruch gehen, mei­nen Sie? Na, die Ver­brau­cher… Wir geben, … wir geben, bitte lasst mich aus­re­den, wir geben drei Monate vor Dema­te­ria­li­sie­rung deut­li­che Warn­hin­weise, den letz­ten am Tag vor­her, der eine Stunde und dann noch ein­mal fünf Minu­ten vor Ver­schwin­den wie­der­holt wird. Wir haben uns da recht­lich abge­si­chert. Sol­che Ver­säum­nisse gehen nicht zu unse­ren Lasten.

Mit einem Schmat­zen dema­te­ria­li­siert sich der Stuhl der Mode­ra­to­rin, ein Käfer rennt über das Podium. Sie fällt unglück­lich auf den Steiß, der hohe Auf­schrei ins Mikro flat­tert dem Publi­kum noch in den Ohren.

Oje! Haben Sie sich ver­letzt? Bitte hier, set­zen Sie sich auf mei­nen Stuhl. Das ver­stehe ich nicht, wir hät­ten aber einen Warn­hin­weis hören müs­sen. Ich gebe das gleich ein­mal an unse­ren tech­ni­schen Sup­port wei­ter. Selbst­ver­ständ­lich über­neh­men wir hier jede Ver­ant­wor­tung, das hätte nicht pas­sie­ren dür­fen. Im Moment arbei­ten wir noch an prä­zi­se­ren Mes­sun­gen zur Sicher­stel­lung exak­te­rer Dema­te­ria­li­sie­rungs­mo­mente, drü­cken wir es ein­mal so aus. Wir von ESKAMOT sind natür­lich so ehr­lich zuzu­ge­ben, dass nichts von Anfang an per­fekt sein kann. Neue Erfin­dun­gen müs­sen sich erst sta­bi­li­sie­ren, Men­schen müs­sen ler­nen damit umzu­ge­hen, wir kali­brie­ren das Möbel­sys­tem stän­dig zwi­schen den Bedürf­nis­sen Mensch und Umwelt. Ein schwie­ri­ges Unter­fan­gen, wie ihr euch vor­stel­len könnt. Da pas­sie­ren noch klei­nere Pan­nen. Aber des­we­gen soll­tet ihr ESKAMOT trotz­dem eine Chance geben, damit es sich ent­wi­ckeln kann. Es ist sicher­lich blöd, wenn jemand die Schwie­ger­mut­ter zum Essen ein­ge­la­den hat und sich im sel­ben Moment ohne Ankün­di­gun­gen der gedeckte Ess­tisch dema­te­ria­li­siert. Dafür haben wir einen Hava­rie-Not­ruf ein­ge­rich­tet. In die­sen sehr sel­te­nen Fäl­len erstat­ten wir natür­lich den Scha­den und schi­cken ein Reinigungsteam.

Aber daran seht ihr, in wel­chem Wider­spruch sich unsere Erwar­tun­gen an unsere Umwelt und deren wah­rer Cha­rak­ter und Mög­lich­kei­ten befin­det. Die Bio­sphäre hat eben ihre Sta­bi­li­täts­li­mits. Und wir natür­lich unsere Tole­ranz­gren­zen. Aber was das Öko­sys­tem uns nicht bie­ten kann, das kann das ESKA­MOT-Möbel­sys­tem schaf­fen. Da bin ich ganz sicher.

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