Dieter Kalka – »Negerküsse in Zigeunersoße. Eine Streitschrift«

Person

Jens Kirsten

Ort

Meuselwitz

Thema

Gelesen & Wiedergelesen

Autor

Jens Kirsten

Alle Rechte beim Autor. Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Autors. Erstdruck in: Palmbaum, Heft 1/2022.

Jens Kirs­ten

Sprech­ver­bote. Sprechverbote?

 

Die­ter Kalkas Streit­schrift »Neger­küsse in Zigeu­ner­soße«, die in der Edi­tion Beu­len­spie­gel erschie­nen ist, lässt den Leser erst ein­mal tief Luft holen. Die Über­schrift will pro­vo­zie­ren und, um es gleich vor­weg­zu­neh­men, dahin­ter ver­birgt sich kei­nes­wegs ein ras­sis­ti­sches Pam­phlet. Es geht um Spra­che, die deut­sche, um Inhalt und Form.

Der in Leip­zig und Meu­sel­witz lebende Die­ter Kalka hat meh­rere Berufe. Er ist Lie­der­ma­cher, Schrift­stel­ler und Logo­päde. In let­ze­rem hat er mit denen zu tun, die es mit der Spra­che schwer haben. Die­ter Kalka regt sich – nicht nur mit Blick auf seine klei­nen und grö­ße­ren Pati­en­ten – über ver­ord­nete, nicht gewach­sene Ver­än­de­run­gen unse­rer Spra­che auf, die sie – sei­ner Mei­nung nach – nicht leich­ter ver­ständ­lich und bes­ser machen, son­dern sie ver­bie­gen und in ein Kor­sett zu pres­sen versuchen.

In dem schma­len Bänd­chen, das Wer­ner Bern­reu­ther mit zwölf hin­ter­sin­ni­gen Zeich­nun­gen berei­chert hat, unter­nimmt Die­ter Kalka in sechs Kapi­teln einen höchst ver­gnüg­li­chen, sehr lesens­wer­ten und mit­un­ter durch­aus pro­vo­zie­ren­den Streif­zug durch unsere gegen­wär­tige Spra­che. Ein nicht auf dem Umschlag genann­ter Unter­ti­tel des Buches lau­tet: »Mit der Sprach­po­lente auf Patrouille«.

Es spricht all jenen aus dem Her­zen, denen das Pathos in den gegen­wär­ti­gen Debat­ten um Sprach­dok­trin und Ver­hal­tens­ko­di­zes, um Sprech­pau­sen beim Nicht­spre­chen von gedruck­ten Gen­der­stern­chen – die ähn­lich daher­kom­men wie Gän­se­füß­chen, die man­che beim Spre­chen in die Luft krit­zeln – mit­un­ter zu hoch und zu viel wird. Und die­je­ni­gen, die das genau ent­ge­gen­ge­setzt sehen, fin­den Gele­gen­heit, ihre Argu­mente nach­zu­schär­fen oder las­sen sich viel­leicht von dem humor­vol­len und men­schen­freund­li­chen Ton Kalka’s hin und wie­der zu einem Lächeln ver­füh­ren:  Der DDR-Schrift­stel­ler Wolf­gang Schreyer schrieb sei­nen Zen­so­ren bei der Haupt­ver­wal­tung Ver­lage und Buch­han­del in den 1980er Jah­ren ins Stamm­buch: »Man soll den Helm nur so eng schnal­len, dass die Gesichts­züge kennt­lich bleiben.«

Die­ter Kalkas Streit­schrift ist alles andere als ver­bis­sen, son­dern vol­ler All­tags­hu­mor, Schlag­fer­tig­keit und Wort­witz. Kalka kann mit Spra­che umge­hen, jon­glie­ren, hau­chen, andeu­ten, schein­bar Unaus­sprech­li­ches sagen, auf den Punkt brin­gen. Und das ist wich­tig bei einem Thema, in dem so unend­lich viel auf Takt und Geschmack und Zwi­schen­töne ankommt: Denn natür­lich kann man jeman­den auch ohne Ver­wen­dung »ver­bo­te­ner« Wör­ter ras­sis­tisch belei­di­gen. Und Kalka schreibt über Dinge, die uns mehr und mehr abhan­den kom­men, wenn wir nicht mehr so reden dür­fen, wie uns der Schna­bel gewach­sen ist. An einer Stelle spricht Kalka vom Plas­tik­deutsch und erin­nert damit an die bis heute aktu­elle Unter­su­chung des Sprach­wis­sen­schaft­lers Uwe Pörk­sen, der schon 1988 in sei­nem Buch »Plas­tik­wör­ter« die von ihm so genannte »Spra­che einer inter­na­tio­na­len Dik­ta­tur« entlarvte.

Kalka arbei­tet nicht nur genau am Wort, son­dern bringt auch in der Sache Argu­mente: Wer Sinti und Roma sagt, schreibt er, dis­kri­mi­niere eine Viel­zahl ande­rer Grup­pen Fah­ren­der: Lovara, Lal­leri, Manou­che, Jerli, Gita­nos; die Sinti-Alli­anz ver­wen­det Zigeu­ner als Selbst­be­zeich­nung, so Tibor Racz in der taz vom 15. April 2015. Des­sen Arti­kel, in dem es auch um Zigeu­ner­soße und Eth­no­schnit­zel geht, hat Kalka offen­bar zu sei­nem Buch­ti­tel inspi­riert. Er will damit die gerade bei Intel­lek­tu­el­len seit dem Alter­tum ver­brei­tete Ansicht, man ändere die Welt zum Guten, wenn man die Spra­che zum Guten ändere, in Frage stel­len. Er will natür­lich nicht dis­kri­mi­nie­ren, er will hin­ter­fra­gen, nicht nach­äf­fen, er spürt Unsi­cher­hei­ten im Umgang mit bestimm­ten Voka­beln auf und setzt sich mit ihrem Gebrauch kri­tisch aus­ein­an­der. Aus die­sen Über­le­gun­gen folgt ein Kapi­tel über unser kolo­nia­les Erbe, wel­ches, so Kalka, sich mit sprach­li­chen Heft­pflas­tern à la »poc« weder kaschie­ren noch wie­der­gut­ma­chen lässt.

Den allzu kor­rek­ten, auf sprach­li­che Genau­ig­keit bedach­ten Tugend­wäch­tern, zu denen er auch all jene zählt, die sprach­li­che Neu­schöp­fun­gen Ein­zel­ner bedin­gungs­los über­neh­men und gesetz­lich ver­an­kern, attes­tiert er Schein­hei­lig­keit. Nicht nur, dass über­kom­plexe Sprach­re­ge­lun­gen gerade unter­pri­vi­le­gierte Men­schen (dar­un­ter oft­mals Migran­ten) dis­kri­mi­nie­ren, weil sie die Regeln gar nicht ver­ste­hen kön­nen. Zuerst, sagt Kalka, müsste der deut­sche Staat die Nofre­tete samt Per­ga­mo­nal­tar zurück­ge­ben, Wie­der­gut­ma­chung in Mil­li­ar­den­höhe an die Staa­ten Afri­kas zah­len, für die drei Kriege zu Anfang des 20. Jahr­hun­derts mit über einer Mil­lion Toten endeten.

Statt kon­stru­ier­ter Begriffe sollte gerech­tes Han­deln im Vor­der­grund ste­hen. Die Spra­che ändert sich im Laufe der Zeit von selbst, aus der Gesell­schaft her­aus. Kalka bringt es in sei­ner Streit­schrift auf den Punkt: Die Spra­che gehört uns allen. Nicht dem Staat und kei­ner Sprachpolizei.

 

  • Die­ter Kalka: Neger­küsse in Zigeu­ner­soße. Eine Streit­schrift. Mit 12 Bil­dern von Wer­ner Bern­reu­ther, Edi­tion Beu­len­spie­gel im AndereBuch­Ver­lag, Lengenfeld/Vogtl. 2022, 72 S., 11,00 EUR.
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