Christine Hansmann – »Erlebte Landschaft. Streifzüge im Eisenacher Land.«

Person

Christine Hansmann

Ort

Eisenach

Thema

Dichters Wort an Dichters Ort

Autor

Christine Hansmann

»Dichters Wort an Dichters Ort« / Thüringer Literaturrat e.V.

Wenn ich Ihnen nur die­sen Blick… hin­über­seg­nen könnte. In dem grau­sen, lin­den Däm­mer des Monds die tie­fen Gründe, Wies­gens, Büsche, Wäl­der und Wald­blö­sen, die Fels­ab­gänge davor und hin­ten die Wände, und wie der Schat­ten des Schloß­ber­ges und Schlos­ses unten alles fins­ter hält und drü­ben an den sach­ten Wän­den sich noch anfaßt, wie die nack­ten Fels­spit­zen im Monde röten und die lieb­li­chen Auen und Täler fer­ner hin­un­ter und das weite Thü­rin­gen hin­ter­wärts dem Däm­mer mischt.«

Goe­the an Char­lotte von Stein, auf der Wart­burg, am 13. Sep­tem­ber 1777

 

Geis­tige Verortung.
Ererbte Impulse.
Erin­ne­rungs­s­at­ter, den Füßen ver­trau­ter Landstrich.

Bis zum Rast­hof Hör­sel­gau folgt das Auge unbe­irrt dem besonn­ten, weiß über­hauch­ten Insels­berg. Von Osten her hält in der kla­ren Luft ein Heiß­luft­bal­lon auf ihn zu. Der Berg bleibt lin­ker­hand zurück, wäh­rend auf der rech­ten Seite der Hör­sel­zug erscheint. Unver­mit­telt öff­net sich die Sicht­achse zur Wartburg.

Über dem Tal der Elte.
Das auf einer Wiese des schat­ti­gen Nord­han­ges lie­gen­ge­blie­bene tro­ckene Herbst­laub ist mit fei­nen Eis­kris­tal­len gerän­dert, sein Ader­werk zeich­net der Rau­h­reif nach.

Die Holz­ab­fuh­ren haben auch hier, auf dem abwärts füh­ren­den Forst­weg, tiefe Fur­chen hinterlassen.

Aus dem Orts­grund dringt Blas­mu­sik her­auf, vor einer Stunde sah ich, wie die Musi­ker sich in der Mitte des Dor­fes zum Abmarsch ver­sam­mel­ten. Kar­ne­vals­um­zug der Dörf­ler, «Ein Jäger aus Kur­pfalz« mit­ten im Thü­rin­ger Kernland.

Es ist käl­ter gewor­den. Die Pfüt­zen am Weges­rand tra­gen eine feine Eis­de­cke, das unter ihr ein­ge­schlos­sene, milch­weiße Gemisch aus Was­ser und Luft bil­det seine eigene, mit wei­chen Run­dun­gen ver­se­hene Land­karte. Wo der Frost bis auf den Boden durch­ge­drun­gen ist, ent­ste­hen scharf gezackte, kris­tal­line Gebilde.

Ein Schwarm Win­ter­mü­cken, den ich stau­nend betrachte.

Pols­ter von Stern­moos, frisch aus­ge­trie­ben, an den Wur­zel­keh­len der Baum­stämme. Auch Frau­en­farn wagt sich her­vor, zart­grün. Eine Königs­kerze hat ihre Blatt­ro­sette aufgefaltet.

Bereits geschla­gene Buchen­zweige, mit Knos­pen über­sät. Ich kann der Ver­su­chung nicht wider­ste­hen und nehme einen Arm voll mit, ein gut sicht­ba­res, aus dem Ruck­sack her­aus­ra­gen­des Fanal.

Am Struth­gra­ben.
Ein win­zi­ges Hang­stück, zwei lie­gen­ge­blie­bene, durch­feuch­tete Heu­bal­len. Der Wie­sen­grund ist von Maul­wurfs­hü­geln zer­setzt, als ob er unre­gel­mä­ßig gepflügt wor­den wäre, Erd­hü­gel neben Gras­hü­gel. Auf den fla­chen, über­fro­re­nen Rinn­sa­len glit­zert die Morgensonne.

Je höher ich steige, desto mehr fal­len die durch den ver­hee­ren­den Sturm des letz­ten Win­ters zer­stör­ten Fich­ten­be­stände ins Auge; die zart­stäm­mi­gen, hell­grau ber­in­de­ten Bir­ken, deren Blü­ten­stände her­ab­hän­gen, haben ihn überstanden.

Zeit­weise gehe ich neben dem in leich­ten Win­dun­gen ver­lau­fen­den Bach auf einer gefro­re­nen Blät­ter­de­cke, ein eigen­ar­ti­ges, knis­tern­des Geräusch.

Wan­der­schuh­spu­ren aus ver­gan­ge­nen Tagen. Ein ver­lo­re­ner schwar­zer Handschuh.

Keine Men­schen­seele ist unterwegs.

An der Eliashöhle.
Kör­per­schlanke Durch­gänge, enge Essen im auf­stei­gen­den Fels, bemooste, über­ein­an­der­ge­türmte Stein­qua­der. Das an ihnen her­ab­rin­nende Was­ser ist gefro­ren – wel­len­för­mig wie Lava erstarrte Gebilde von eige­ner Schön­heit, unter denen es noch immer rie­selt: ein­zelne, nach­ein­an­der­fol­gende Trop­fen, die sich in Schlän­gel­li­nien ihren Gang suchen, ehe sie versickern.

Der Legende nach soll der Ein­sied­ler Elias in einer der Spalt­höh­len gehaust haben. Eli­sa­beth von Thü­rin­gen habe ihn, von der nahen Wart­burg her­über­kom­mend, gepflegt.

Ein über den Abhang geneig­ter Buchen­stamm, an dem die Baum­pilze sich wie halb­runde, gefähr­lich glatte Trep­pen­stu­fen empor­win­den. Auf dem schma­len Steig wech­selt das Geflecht der Wur­zeln mit abwärts gerutsch­ten Inseln von tro­cke­nem Laub.

Auf dem Saal­kopf über­rascht mich eine Ansamm­lung in vier­eckige Plas­tik­hül­len gepack­ter, fast manns­ho­her Schöss­linge: elfen­bein­far­bene Ste­len, die, einem Kunst­werk gleich, auf der kah­len, abge­holz­ten Höhe umeinanderstehen.

Wenige Schritte wei­ter ein Fried­hof ent­wur­zel­ter Buchen, rie­sige Wur­zel­bal­len, aus dem braun­ro­ten, wie blu­ten­den Erd­reich her­aus­ge­ris­sen, die dicken Stümpfe mit schwar­zer Feuchte ver­sie­gelt, ein apo­ka­lyp­ti­scher Anblick.

Reste von Schnee.

Eine Tier­fährte in der Tritt­spur, auf­ge­suhlte Wegraine.

Am West­him­mel liegt über dem Hori­zont ein brei­ter, oran­ge­gel­ber Strei­fen Lichts.

Im Wall­bach­tal.
Das Knar­ren der hohen, schwan­ken­den Lär­chen beglei­tet den ruhi­gen Wech­sel zwi­schen Gehen und Verweilen.

Ein Stück Buchen­rinde, das ich auf­hebe und umdrehe. Auf der Innen­seite hat der Bor­ken­kä­fer sein Fraß­bild hin­ter­las­sen, win­zige, strah­len­för­mige Ganglabyrinthe.

An den Spit­zen der har­ten, innen hoh­len Ried­gras­halme hän­gen noch die ver­trock­ne­ten Blü­ten­bü­schel des ver­gan­ge­nen Sommers.

Klit­ze­kleine, trich­ter­för­mige, blaß­grüne Kel­che zei­gen sich, zum Him­mel geöff­net, zwi­schen Stern- und Katharinenmoos.

Ein Bus­sard­pär­chen kreist über den Wipfeln.

Es weht ein kräf­ti­ger, kal­ter Wind.

Schutz­hütte am Schwalbennest.
Der Wil­helmstha­ler See, ursprüng­lich durch Auf­stauen des Elte­ba­ches ent­stan­den, liegt genau unter mir. Sechs blau und rot gestri­chene Ruder­boote ruhen neben dem Wehr und war­ten auf die wär­mere Jahreszeit.

An der von Carl August und Goe­the so sehr geschätz­ten, seit Jahr­zehn­ten ver­fal­len­den  her­zog­li­chen Som­mer­re­si­denz wird immer­hin gear­bei­tet. Glän­zende kup­ferne Regen­rin­nen. Lau­tes Häm­mern durch­bricht die mit­täg­li­che Stille.

Der Blick geht durch den Säu­len­gang bis zum Wasser.

Im brei­ten, sanft mäan­dern­den Tal der Elte nach Unke­roda zurück.

Es reg­net. Zwei Rohr­wei­hen tau­chen auf, weiß gefie­dert mit schwar­zen Flü­gel­spit­zen und  rufen gel­lend. In den Schwarz­erlen am schilfum­säum­ten Teich vor dem Forst­haus Atchen­bach sitzt ein Bunt­specht, den ich in Was­ser­nähe nicht ver­mu­tet hätte. Er fliegt auf, als er mich bemerkt.

Eine Schar Wild­enten zieht hoch.

Die Wol­ken gehen schnell, regen­tra­gend, nach Westen.

Am Prin­zen­teich.
Wie oft die bei­den Söhne der nach Sach­sen-Wei­mar-Eisen­ach emi­grier­ten Her­zo­gin Helene von Orleans auf ihm Schlitt­schuh gelau­fen sind, ehe der See nach ihnen benannt wurde, lässt sich nicht sagen.

Wie eh und je hän­gen die Wei­den ihre Zweige über das Wasser.

Wie eh und je um diese Zeit balzt ein Pär­chen Stock­enten sich nickend zu, im selbst­ver­ständ­li­chen Einvernehmen.

Wie eh und je ruht das ver­las­sene Schwa­nen­häus­chen auf sei­ner klei­nen, von einer ein­zi­gen Trau­er­weide bewach­ten Insel.

Die Enten kom­men heran, erwar­tungs­voll, mei­nen kost­ba­ren Pro­vi­ant werde ich nicht an sie verfüttern.

Als ich am spä­ten Nach­mit­tag in das son­nen­über­glänzte Elte­tal hin­ein­fahre, steht ein Grau­rei­her im Ried­gras, fünf Meter von der Straße ent­fernt, in unbe­weg­li­cher Ruhe.

»Mische lieb­li­che Natur
hier in Weh­mut sanfte Lust,
sei dir treuer Liebe Spur,
wenn du hier ver­weilst bewußt.

Johann Wolf­gang von Goethe«

(ein­ge­mei­ßelt auf einem Stein im Gar­ten des Forst­hau­ses Atchen­bach bei Wilhelmsthal).

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