Auf Wolfgang Hilbigs Spuren in Meuselwitz
4 : Die Schule

Person

Wolfgang Hilbig

Ort

Erich-Mäder-Schule

Themen

Von 1945 bis zum Ende der DDR

Gegenwart

Autor

Volker Hanisch

Thüringer Literaturrat e.V.

Die heu­tige Staat­li­che Grund­schule in der Pes­ta­loz­zi­straße 26 wurde – als Teil eines nicht voll­stän­dig rea­li­sier­ten Schul­zen­trums mit Kin­der­gar­ten und Sport­platz – ab 1928 nach Plä­nen des Alten­bur­ger Archi­tek­ten Her­mann Bartsch im Stil der »Neuen Sach­lich­keit« errich­tet und 1930 als Kna­ben­schule ein­ge­weiht. Von 1945 bis 1977 hieß sie, benannt nach einem Thü­rin­ger Leh­rer und SPD-Poli­ti­ker, Erich-Mäder-Schule.

Zwi­schen 1948 und 1956, zeit­weise zusam­men mit über 40 Klas­sen­ka­me­ra­den, ver­brachte Wolf­gang Hil­big hier seine Grund- und Volks­schul­zeit, war Mit­glied der Pio­nier­or­ga­ni­sa­tion und ver­ließ die Schule mit einem Acht­klas­sen­ab­schluss. In der Unter­stufe bekam er zumeist sehr pas­sa­ble Schul­no­ten, die sich jedoch spä­ter­hin in mit­tel­mä­ßi­gere ver­wan­del­ten – wohl auch, weil der Unter­richt den Her­an­wach­sen­den weit weni­ger fes­selte als seine aus­gie­bige Lek­türe: Heft­ro­mane, Jugend­bü­cher wie Ste­ven­sons »Schatz­in­sel« und, schon früh­zei­tig, die Prosa der deut­schen Roman­tik und die Wald­lie­der von Niko­laus Lenau.

Als Schü­ler ver­fasste Wolf­gang Hil­big erste, spä­ter ver­schol­lene Wild­west- und Aben­teu­er­ge­schich­ten: »Die Mit­schü­ler fan­den meine Geschich­ten span­nend, und ich schrieb von nun an mehr sol­cher Heft­chen. Unmen­gen davon, ganze Kof­fer voll. Selbst ein paar Leh­rer haben wel­che gele­sen und hiel­ten sie für inter­es­sant – auch wenn diese Hefte natür­lich nicht erwünscht waren«, erin­nerte sich Hil­big im Jahr 2000 in einem Inter­view mit der Wochen­zei­tung »Die Zeit«. Er habe den Unter­richt an sich »vor­über­zie­hen las­sen«, reka­pi­tu­liert Hil­big in die­sem Inter­view, und in der 2002 abge­schlos­se­nen Erzäh­lung »Ort der Gewit­ter«, einer Kind­heits- und Jugend­ge­schichte in der Nach­kriegs­zeit, heißt es pointiert:

Am ers­ten Sep­tem­ber mußte ich wie­der zur Schule […] ich hatte […] der rät­sel­haf­ten Red­se­lig­keit mei­ner Leh­rer zu lau­schen: Geschichte, Che­mie, Phy­sik … im letz­te­ren Fach gab es auch etwas über die Ent­ste­hung von Gewit­tern: es inter­es­sierte mich nicht im geringsten.

Obgleich Wolf­gang Hil­big spä­ter erzählte, er habe einen sehr guten Deutsch­leh­rer gehabt, bei dem, abseits des Lehr­plans, auch Geschich­ten von Edgar Allan Poe gele­sen wur­den – ein »blei­ben­des Bil­dungs­er­leb­nis« durch den Schul­un­ter­richt ins­ge­samt steht bei Hil­big wohl nicht zu ver­mu­ten, wie es auch einige andere Pro­sa­texte wie »Schläf­ri­ges Gras« (1968), »Die Ein­frie­dung« (1979) und Gedichte wie »Hurra, Hurra!« (1964) nahe­le­gen. Den­noch, an der Wand sei­nes letz­ten Arbeits­zim­mers in Ber­lin hing ein Kalen­der der Alten­bur­ger Spar­kasse von 2006, der die Meu­sel­wit­zer Schule zeigt.

Anläss­lich des 70. Geburts­ta­ges von Wolf­gang Hil­big ließ der »Freun­des­kreis Goe­the-Natio­nal­mu­seum e. V.« aus Wei­mar eine Gedenk­ta­fel am Schul­ge­bäude anbrin­gen. Sie ist bis­lang (lei­der) das ein­zige öffent­li­che Zei­chen, das in der Stadt Meu­sel­witz an den Dich­ter erinnert.

Bei der fei­er­li­chen Ent­hül­lung der Tafel am 31. August 2011 waren u. a. Hil­bigs Mut­ter und seine Toch­ter anwe­send. Der Wei­ma­rer Ger­ma­nist Gert Theile wür­digte in sei­ner Fest­rede die »magi­sche Poe­sie und Prosa« des Schrift­stel­lers, und unter Lei­tung ihrer Leh­re­rin Bir­git Adler san­gen Grund­schü­ler das Volks­lied »Die Gedan­ken sind frei«. Außer­dem tru­gen die etwa Neun­jäh­ri­gen mit tref­fen­der kind­li­cher Empa­thie Natur­ge­dichte von Wolf­gang Hil­big vor – auch das ist möglich.

Folgt man am nörd­li­chen Ende der Pes­ta­loz­zi­straße dem Schnau­der­hai­ni­cher Weg stadt­aus­wärts, so hört und sieht man nach gut 200 Metern links das »Flüss­chen«, wie es bei Hil­big ab und an heißt, die Schnau­der. Sodann könnte man die Brü­cke der frü­he­ren Bahn­stre­cke Meuselwitz–Gaschwitz unter­que­ren und in einem Spa­zier­gang dem Fluss­lauf fol­gen, bis hin nach Wintersdorf.

Rech­ter Hand käme man zuvor zum »Gro­ßen Ang­ler­teich«, auch er ein Über­bleib­sel des eins­ti­gen Braun­koh­le­ab­baus und jener Ort, an dem Wolf­gang Hil­big schwim­men lernte – beim Lesen von »Ort der Gewit­ter« fände man die­ses Gewäs­ser wieder.

Schon in den 1970er- und 80er-Jah­ren, also in sei­ner »Meu­sel­wit­zer Zeit«, arbei­tete Hil­big an der 1990 fer­tig­ge­stell­ten Erzäh­lung »Alte Abde­cke­rei«, deren ers­ter Satz lautet:

Ich besann mich auf ein Flüß­chen hin­ter der Stadt, ein selt­sam schim­mern­des, an man­chen Tagen fast milch­far­be­nes Gewäs­ser, das ich kilo­me­ter­weit ver­folgt habe, einen Herbst lang oder noch län­ger, viel­leicht nur, um ein­mal hin­aus­zu­kom­men aus einem Ter­ri­to­rium, das, wenn ich es end­gül­tig sagen soll, von den Gren­zen mei­ner Müdig­keit ein­ge­schlos­sen war.

 Auf Wolfgang Hilbigs Spuren in Meuselwitz:

  1. Das Geburtshaus
  2. Die Hochfrequenzwerkstätten
  3. Ecke Rudolf-Breitscheid-Straße/Nordstraße mit Blick zum Auholz
  4. Die Schule
  5. Der Hauptkonsum mit Briefkasten und Großbäckerei
  6. Die Gaststätten
  7. Der Bahnhof
  8. Die Maschinenfabrik – Ecke Bahnhofstraße und Penkwitzer Weg
  9. Wuitz-Mumsdorf – Exkurs zum »Kesselhausfasan«
  10. Das Stadtzentrum
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