Adele Schopenhauer – »Haus‑, Wald- und Feldmärchen«

Personen

Adele Schopenhauer

Ulrike Müller

Orte

Erfurt

Weimar

Apolda

Thema

Gelesen & Wiedergelesen

Autor

Ulrike Müller

Thüringer Literaturrat e.V. / Die Reihe »Gelesen & Wiedergelesen« entstand mit freundlicher Unterstützung der Thüringer Staatskanzlei.

Wie­der­ge­le­sen von Ulrike Müller

 

Ostern 1844 erschien bei Brock­haus in Leip­zig die »Haus‑, Wald und Feld­mär­chen« der 1997 in Ham­burg gebo­re­nen Adele Scho­pen­hauer. Das Werk wurde von der zeit­ge­nös­si­schen Kri­tik und Lese­rIn­nen­schaft posi­tiv auf­ge­nom­men. »Meine Mär­chen gefal­len«, schrieb die Autorin erfreut an ihre Freun­din Otti­lie von Goe­the. Der Erfolg spie­gelte sich spä­ter lei­der nicht in den Ver­kaufs­zah­len wider. Ihr Schrift­stel­ler­kol­lege Stern­berg ver­wies zunächst nicht ohne Häme dar­auf, dass sie als junge Frau im Kreis um Goe­the geschwo­ren habe, nie etwas dru­cken zu las­sen, bevor er dann den Zau­ber ihrer ins Wort gebann­ten »aller­liebs­ten Com­po­si­tio­nen«  begeis­tert mit dem ihrer Sche­ren­schnitte ver­glich. Letzt­lich bewer­tete er ihre Mär­chen höher als die der Brü­der Grimm und stellte abschlie­ßend die in der Tat beden­kens­werte Frage: »Wenn so viele Frauen dich­ten und den­ken, was sol­len wir Män­ner noch?«  Von der Autorin ist bedau­er­li­cher­weise keine Ant­wort erhalten.

In den »Haus- Wald- und Feld­mär­chen« holt sie die Lese­rIn­nen mit Hilfe einer Rah­men-hand­lung auf char­mante Weise direkt in den Text, und zwar in eine fik­tive Gesprächs­runde zur Bedeu­tung des Mär­chens an sich. Am Ende set­zen sich die Kin­der mit ihrer Ant­wort gegen die Erwach­se­nen durch: sie klü­geln und ent­my­tho­lo­gi­sie­ren nicht, son­dern wah­ren Wesen, Wun­der und Geheim­nis des Mär­chens, indem sie auf die Frage hin, was eigent­lich ein Quel­len­mär­chen sei, direkt die Erzähl­si­tua­tion schil­dern und damit zugleich Adele Scho­pen­hau­ers nar­ra­ti­ves Ver­fah­ren vor­füh­ren: »Wenn der Quell die Geschichte anfängt, so legen sich die klei­nen Veil­chen auf die Erde unter die Blät­ter hin und hören zu, (…). Und der Schmet­ter­ling schlägt hin­ten sei­nen bun­ten Frack zusam­men und setzt sich – siehst du, so…«

Als Erzäh­le­rin bleibt sie fein­sin­nig, stil- und motiv­si­cher im Reich der Kin­der, wäh­rend sie auf intel­lek­tu­el­ler Ebene zugleich eine Grund­satz­de­batte für Erwach­sene anzet­telt: Ratio con­tra Gefühl, Ver­nunft con­tra Intui­tion, Nütz­lich­keit con­tra Fan­ta­sie, mit­hin: Auf­klä­rung con­tra Roman­tik. Das Wald­mär­chen, wel­ches dann folgt, stat­tet sie gekonnt mit den Ele­men­ten eines Volks­mär­chens aus: In der Geschichte um einen jun­gen Wald­ar­bei­ter, der eigent­lich ein Graf ist, gibt es keine his­to­ri­schen Per­sön­lich­kei­ten und bestimm­ten Orte; die Reise nach Ungarn könnte ebenso in ein ande­res fer­nes Land statt­fin­den. Pflan­zen und Tiere grei­fen im Ver­bund mit Erd­geis­tern, Elfen und Gno­men hel­fend ein, böse Taten wer­den bestraft, gute belohnt, Stan­des­un­ter­schiede kön­nen eine glück­li­che Hei­rat am Schluss nicht verhindern.

Die Lek­türe von Adele Scho­pen­hau­ers Tage­bü­chern zeigt, wie kri­tisch sie sich mit den in ihrer Zeit wie­der erstar­ken­den Stan­des­schran­ken aus­ein­an­der­ge­setzt hat. Im Wald­mär­chen äußerte sie, wie andere Dich­te­rIn­nen im 19. Jahr­hun­dert auch, ihre aktu­elle Gesellschaftskritik.

Auch im Haus­mär­chen ver­bün­den sich Kobolde und andere Mär­chen­we­sen mit der Haupt­per­son, dem Mäd­chen Bar­bara, bis diese hei­ra­tet. Man sieht das Ensem­ble der Ele­men­tar­geis­ter sogleich in phan­tas­ti­scher Genau­ig­keit als Schat­ten­risse von Ade­les Hand vor sich: »Hüt­chen« und »Güt­chen«, graues Männ­chen, Neben­frau und Wur­zel­männ­lein, fein gespon­nene oder knor­rig hand­ge­schnitzte Wald­we­sen tan­zen zu ihren eige­nen musi­ka­li­schen Versen:

Im Kel­ler im dun­keln, munkeln,
Die Men­schen schre­cken, necken,
Das ist mein Spiel und Ziel.

Die Autorin ist eine klang­si­chere Laut­ma­le­rin; das Mär­chen könnte auch als Hör­spiel oder Thea­ter­stück für Kin­der auf­ge­führt wer­den. Die Sze­nen in Mainz, Erfurt, Wei­mar, Apolda spie­len in der Anfangs­phase der Refor­ma­ti­ons­zeit. Das Haus­mär­chen bie­tet in wei­ten Tei­len ein Sit­ten­ge­mälde des 16. Jahr­hun­derts dar auf der Schwelle zwi­schen Volks­glau­ben und Refor­ma­tion. Eine beson­dere dich­te­ri­sche Leis­tung stel­len die Land­schafts­schil­de­run­gen dar. Das Feld­mär­chen, spielt in der Gegen­wart, im 19. Jahr­hun­dert, und »voll­zieht Faust Welt­fahrt auf mär­chen­hafte Weise«, wie der Her­aus­ge­ber Karl Wolf­gang Becker beschreibt. Ein Irr­licht lässt sich vom Teu­fel in den jun­gen Mann »Karl« ver­wan­deln und wan­dert durch die Lande. Der Teu­fel, gemein­sam mit dem lie­ben Gott für den Erhalt der Moral zustän­dig, trägt uner­war­tete Züge von Zivi­li­siert­heit und ringt per­ma­nent mit dem Irr­licht, dem Moral fremd ist und das diese stän­dig tor­pe­diert. Am Schluss des Mär­chens lie­fert Adele Scho­pen­hauer einen Schlüs­sel zum Ver­ständ­nis ihres Mär­chen­be­griffs und äußert damit ihre Kri­tik am Mate­ria­lis­mus der Zeit: Ele­men­tar­geis­ter sol­len die reale Welt phan­tas­tisch durch­drin­gen. Phan­ta­sie und Poe­sie, die unsicht­ba­ren, auch: visio­nä­ren Sei­ten des Lebens wer­den beschwo­ren: Natur­ge­bilde tre­ten in Erschei­nung, wie sie sich auch in den dich­te­ri­schen Bil­dern Annette von Droste-Hüls­hoffs fin­den: Wol­ken­fet­zen oder Bäume im Nebel tra­gen Züge von Elfen, Zwer­gen oder Rie­sen. Natur‑, Men­schen und Geis­ter­sphäre wir­ken inein­an­der. Ans Ende des Feld­mär­chens schließt die Autorin eine abschlie­ßende Rah­men­hand­lung an, mit der die Ant­wort auf die zu Beginn des Buches auf­ge­wor­fe­nen Frage nach dem Wesen des Mär­chen noch ein­mal auf den Kul­tur­streit zwi­schen Auf­klä­rung und Roman­tik aus­ge­wei­tet und zuge­spitzt wird: Ein »ver­stän­di­gen Haus­va­ter« und ein Phan­tast – also ein Ratio­na­list und ein Roman­ti­ker – stol­pern über ein Feld. Der Phan­tast: »Die Ideen tan­zen mir im Kopfe wie dort jene Irr­lich­ter. Über­all erbli­cke ich Gesich­ter. Sehen Sie den Eich­stamm? Sieht er nicht aus wie ein gebück­ter Riese?«  Der Haus­va­ter aber sieht in den Irr­lich­tern nichts ande­res als Johan­nis­kä­fer. Er pro­phe­zeit deren bal­di­ges Aus­ster­ben und ver­kün­det seine quan­ti­ta­tive Sicht von der Welt: »Sie wer­den jetzt sel­ten, gott­lob! Die Kul­tur des Bodens nimmt über­all zu.« 

Adele Scho­pen­hauer und ihre lite­ra­ri­schen Texte sind eine Ent­de­ckung wert. Lei­der wurde wenig davon zu ihren Leb­zei­ten ver­öf­fent­licht, auch heute gibt kaum neue Edi­tio­nen. Die Autorin litt zeit­le­bens unter star­ken Selbst­zwei­feln und war zugleich hoch­ta­len­tiert. Ihre außer­ge­wöhn­li­che Bega­bung und Intel­li­genz erkannte schon Goe­the; der 48 Jahre Ältere wurde für sie zum Lehr­meis­ter und väter­li­chen Freund. Adele fühlte sich schon als Kind vom Lite­ra­tur­be­trieb abge­sto­ßen, wie sie ihn bei ihrer Mut­ter erlebte. Dabei schrieb sie ihr Leben lang: ergrei­fende Tage­bü­cher, Briefe und Gedichte, neben den Mär­chen auch zwei Romane, dazu his­to­ri­sche Stu­dien, Lite­ra­tur- und Thea­ter­kri­ti­ken, kunst­ge­schicht­li­che Refle­xio­nen, Rei­se­be­richte über Rom und Flo­renz, ein Opern­text­buch, die Hälfte eines Dra­mas, viele Über­set­zun­gen. Als Mann auf die Welt gekom­men, wäre sie nach eige­nem Bekun­den Bild­hauer gewor­den. Erst nach dem Tod ihrer Mut­ter 1838 und durch die exis­ten­zi­elle Beru­hi­gung in der Lie­bes­be­zie­hung mit der »Rhein­grä­fin« Sibylle Mer­tens-Schaaff­hau­sen trat sie mit grö­ße­ren Arbei­ten an die Öffent­lich­keit. Die Freun­din unter­stützte ihre Schreib­pro­jekte. So wur­den die  »Haus‑, Wald- und Feld­mär­chen« , Adele Scho­pen­hau­ers erste Buch­ver­öf­fent­li­chung unter eige­nem Namen.

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